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Endspiele Teil 8: Contenance

Wahrlich Contenance benötigte Finn Meinschien vom Dortmunder Schachverein 1875 in seiner Partie gegen Michael Scholz beim Qualifikationsturnier in Darmstadt, welches u.a. von den Mömbrisern Michael Scholz, Markus Susallek, Manuel Simon und Jonathan Simon vom 29. bis 31 März 2019 in Darmstadt gespielt wurde. Am Abend des 30.03.2019 kam es in der oben erwähnten Partie zu der folgenden Stellung:

Scholz, M. – Meinschien, F.

Stellung nach 70. gxf5.

Schwarz ist am Zuge. Offenbar besitzt er zwei Möglichkeiten den Bauern f5 zurückzuschlagen. Erstens direkt mittels 70. …, exf5 oder zweitens mit 70. …, Tf4+ nebst 71. …, Txf5. Dabei ist klar, dass Weiß seinen Bauern auf h5 verlieren wird. Es scheint daher egal. Ein Turmendspiel mit zwei Mehrbauern sollte doch in jedem Fall gewonnen sein, oder nicht?

Die Theorie

Da diese Endspiele sehr kompliziert sind, nur einige allgemeine Bemerkungen. Wir stützen uns wieder auf ein Beispiel aus der „Endspieluniversität“.

Diese Position ist remis – trotz der zwei Mehrbauern.

Der schwarze Turm steht auf der fünften Reihe sehr gut. Er hindert den weißen König daran, nach vorne zu marschieren und auf 1. f5 folgt 1. …, Tb1 und es drohen viele Schachs von hinten. In der Partie Gligoric – Smyslov spielte Weiß 1. Tg6 und Schwarz erwiderte 1. …, Kf7! (besser als 1. …, Kh7). Es ging weiter mit 2. Tg5, Tb1!

Stellung nach 2. …, Tb1!

Schwarz bleibt sehr flexibel. Von b1 aus kann der Turm sowohl waagrechte als auch senkrechte Schachs geben. Schauen wir ein paar Züge weiter. 3. Tc5 (3. h6 und …, Ta1! hält das Gleichgewicht – zeigen wir hier aber nicht), Kf6 4. Tc6, Kg7!

Stellung nach 4. …, Kg7!

Schwarz muss aufpassen, dass er nicht auf die achte Reihe zurückgedrängt wird, z. B. wäre 4. …, Kf7? ein Fehler nach 5. Kg5, Tg1+ 6. Kf5, Th1 7. Tc7+. Nach einigen weiteren Zügen entstand die folgende Stellung:

Stellung nach 16. …, Ta1.

Der schwarze Turm steht auf a1 optimal, von wo aus er die meisten Felder kontrollieren kann. Nach 17. h6 folgt 17. …, Kh7!.

Man sollte sich merken: Den König platziere man vor dem am weitesten fortgeschrittenen Bauern.

In der Textpartie hielt Smyslov tatsächlich das Remis.

Es gibt aber auch Ausnahmen, wann Stellungen mit f- und h-Bauern nicht Remis sind. Die wichtigste lautet:

Ist der König auf der achten Reihe abgeschnitten, verliert die schwächere Seite in der Regel.

 

Die Praxis

Aus dem eben gelernten ist nun klar, dass Schwarz die zweite Variante wählen sollte, also 70. …, Tf4+ nebst 71. …, Txf5. Dann wäre die Stellung auch objektiv gewonnen. In der Partie wählte Schwarz allerdings das fehlerhafte 70. …, exf5? Nach einigen weiteren Zügen entstand die folgende Stellung:

Scholz, M. – Meinschien, F.

Stellung nach 77. …, Ta3.

Es ist quasi eine Musterstellung aus der Theorie dieses Endspiels entstanden. Wir wollen hier nicht nochmal auf konkrete Varianten und Züge eingehen (was auch daran liegt, dass die Textpartie nicht vollständig vorliegt). Nur so viel: Die aktuelle Diagrammstellung ist remis (ich habe das mit der 7-Steiner Tablebase von lichess überprüft). Michael hielt das Remis auch noch einige weitere Züge, bis er hier den entscheidenen Fehler beging.

Scholz, M. – Meinschien, F.

Stellung nach 89. …, Tc1.

Hier spielte Michael 90. Tg8?, was nach 90. …, Kf3 zu einer verlorenen Stellung führte (dieser Zug ist damit auch der letzte vorhandene Zug. Die Partie dauerte noch einige wenige Züge weiter). Remis hielten die Züge 90. Tb4+, 90. Kg2 oder 90. Kh3 (siehe: lichess tablebase). 90. Kh3 sieht logisch aus und stimmt mit unserer oben formulierten Regel überein, wonach sich der König vor den am weitesten fortgeschrittenen Bauern stellen sollte. Eine schwierige Sache und Glück für seinen Gegner, der sich nun doch über einen ganzen Punkt freuen durfte.

Hier nochmal die Liste aller in den letzten Wochen und Monaten behandelten Endspiele:

 

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