Auf der Suche nach der verlorenen Unterfränkischen: Der Kitzinger Schachbote
Ostermittwoch, 07.04.2010
Kitzingen: Die 61. Unterfränkische Einzelmeisterschaft im Schach findet in diesem Jahr in unserem schönen Kitzingen statt (wir berichteten). Die Meisterschaft begann am Ostermontag in der großzügigen Florian-Geyer-Halle (in der Tat hörten wir eine Unterhaltung von Spielern, in der sie über die weiten Laufwege scherzten, die sie zum Kiebitzen zurücklegen mussten) und wurde mit feierlichen Reden eröffnet. Hier kämpfen 79 Spieler aus ganz Unterfranken noch bis Ostersamstag um die unterfränkische Schachkrone. Vorjahressieger in Aschaffenburg, Tobias Kuhn, ist auch wieder mit von der Partie.
Nach nunmehr drei Runden führen in der MI die Spieler FM Harald Golda und FM Konstantin Kunz mit jeweils 2.5 Punkten. Beide werden in Runde 4 im direkten Vergleich aufeinander treffen. In Runde 2 gewann Golda gegen den Mömbriser Michael Pfarr. In der M2 führt Klaus Link (SK Klingenberg) ungeschlagen mit 3 aus 3 und hat damit schon jetzt einen ganzen Punkt Vorsprung vor seinen Verfolgern. Noch aber ist alles offen, und noch sechs Runden zu spielen. Eine Partie kann bis zu 6 Stunden dauern. Heute wird traditionell nur eine Partie gespielt und daher sind spannendste Kämpfe zu erwarten, da sich wohl niemand mit einem schnellen Remis zufrieden geben wird. Im Hauptturnier, welches auch Aufstiegsturnier genannt wird, führt Michael Kirchner ebenfalls ungeschlagen mit 3 aus 3. Hier lauern aber gleich mehrere Verfolger mit 2.5/3, so beispielsweise Arnold Kraus, Florian Grünewald und Jonathan Simon aus Mömbris. Simon spielt in Runde Nr. 4 gegen Michael Schreck, der ihm mit seiner Eröffnung hoffentlich keinen Schrecken einjagen wird. Besonders hervorzuheben ist auch die Teilnahme von Fritz Scholz, der bald das Jubiläum seiner 50. Teilnahme wird feiern können. Soweit wir wissen, hat dies bisher noch niemand erreicht. Bereits vor einigen Jahren wurde er für seine regelmäßigen Teilnahmen vom USV mit der goldenen Ehrenplakette ausgezeichnet – die höchste zur Verfügung stehende Auszeichnung. Gestern Abend spielte Fritz gegen Marianne Hartlaub, welche durch ihre rüstige und lebensfrohe Art allen Schachspielern in Unterfranken unter ihrem Beinamen „Schachoma“ bekannt ist. Mögen beiden noch viele Spiele des königlichen Spieles gegönnt sein!
Das Turnier wird kompetent wie eh und je von Jürgen Müller als Hauptschiedsrichter geleitet. Dieser kündigte uns gegenüber schon jetzt ein weiteres schachliches Highlight an, welches heuer zum ersten Mal an Pfingsten im Rhön-Park Hotel stattfinden soll. Das erste unterfränkische Schachfestival, bei dem neben normalem Schach auch einige Schachvarianten wie Chess960 angeboten werden. Auch ein Pokerturnier soll als Rahmenprogramm stattfinden. Ein weiteres Highlight hier in Kitzingen ist auch die Anwesenheit von GM Michael Pursikin, der den Spielern nach ihren Partien zur gemeinsamen Analyse zur Verfügung steht. Es bleibt also spannend in unserem schönen Kitzingen. Werden sich die Favoriten durchsetzen, oder haben auch underdogs wie Michael Pfarr aus Mömbris, der eigentlich gar nicht mit einer Teilnahme in der M1 gerechnet hatte, eine Chance auf einen Podestplatz? Werden Klaus Link und Michael Kirchner ihre Siegesserien fortsetzen? Wird Markus Susallek gegen Uwe Hasselbacher in der M2 heute erneut mit seinem geliebten Königsgambit eröffnen (welches man bekanntlich nicht mit 2. …, d6?! ablehnen sollte)? Die Siegerehrung findet dann am kommenden Samstag statt. Auch dafür haben sich die Kitzinger natürlich etwas ganz besonderes einfallen lassen, denn diese wird vor schöner Kulisse in unserem ehrwürdigen historischen Rathaus stattfinden.
Zum Schluss noch ein paar schachliche Schmankerl, welche sich bereits im Turnier ereigneten. In der M1 spielte in der ersten Runde Thomas Steinhauser (Prichsenstadt) gegen Michael Pfarr (Mömbris). Nach 40 Zügen entstand das folgende komplizierte Bauernendspiel.
Steinhauser, Thomas – Pfarr Michael
Es wurde uns berichtet wie sich Steinhauser, nachdem Pfarr sehr lange für einen Zug überlegt hatte, sich zu ihm rüberbeugte und flüsterte: „Und hast du es durchgerechnet? Mir war das zu kompliziert“. Pfarr berechnete offenbar alles richtig, denn er gewann nach 65 Zügen.
Schauen wir uns nun ein Turmendspiel an, welches in der Begegnung Markus Susallek (Mömbris) gegen Thomas Heller (Bergtheim) in der zweiten Runde (also gestern früh) entstand.
Susallek, Markus – Heller, Thomas
In dieser Stellung hat Markus bereits zwei Mehrbauern und der Zug 51. Txg5 hätte ihm den Sieg gesichert. Zum Beispiel 51. …, Txa3 52. Tg4+, Kf5 53. Tb4 und wir haben eine theoretische Gewinnstellung mit b- und g-Bauer (für den fortgeschrittenen Turmendspiel Spieler sei angemerkt, dass in einem solchen Typ von Endspielen nur die Bauernpaare a/c bzw. f/g und a/h kritisch sind. In diesem Fall besitzt die schwächere Seite Remischancen, falls die Könige nicht zu ungünstig stehen).
Susallek, Markus – Heller, Thomas (Variante)
Markus aber spielte hier den defensiven Zug 51. Ta5?, was objektiv zu einer ausgeglichenen Stellung führt. Es folgt der einzige Zug 51. …, Ta2+, was den weißen König auf die Grundreihe zurückdrängt und nach 52. Kf1 der Zug g4! (einziger Zug) 53. Ta7, g3!
Susallek, Markus – Heller, Thomas
Plötzlich wird der weiße König vom schwarzen Turm und dem Bauern auf g3 dominiert. Der weiße König ist zudem an die Deckung des Bauern g2 gebunden. Wenn Weiß versucht mittels 54. a4 oder 54. b4 seine Bauern in Bewegung zu setzen folgt einfach das Turmschach auf a1 und wenn Weiß den g-Bauern aufgibt, ist er es, der die genauen Zügen finden muss um dieses Endspiel zu halten. Markus spielte aus der Diagrammstellung 54. Te7+ und nun muss Schwarz genau spielen, denn nur der gespielte Zug 54. …, Td3 hält Remis (54. …, Kf4?, a4! +- und der König ist von den weißen Bauern abgeschnitten). In der Folge fand Schwarz tatsächlich mehrmals einzige Züge und es entstand nach 66 Zügen die folgende Stellung.
Susallek, Markus – Heller, Thomas
Weiß hat immer noch einen Bauern mehr, aber Schwarz hat seinen Bauern auf g3 behalten, der offenbar den weißen König immer noch einschränkt. Tatsächlich ist es aber wieder Schwarz der genau spielen muss. Das Key-Element in dieser Stellung ist die schwache weiße Grundreihe. Remis halten daher Züge wie 66. …, Tc5/Ta5 oder 66. …, Kd2/d4 in Verbindung mit …, Tc5/a5 nach 67. Tf1. In der Partie geschah aber 66. …, Tb5? Ein lehrreicher Moment. Schwarz will den Bauern auf b3 abholen, aber dieser war im Moment überhaupt nicht wichtig! Er beraubt sich gleichzeitig der Möglichkeit ein verheerendes Schach auf der Grundreihe zu geben. Nach 66. …, Tb5? gewann der einzige Zug 67. Tf1! (schneidet den König weiterhin ab und droht auf lange Sicht den Bauern g3 zu gewinnen und …, Txb3?? verbietet sich natürlich wegen Tf3+). Es wurden ein paar weitere Züge gespielt.
Susallek, Markus – Heller, Thomas
Auch diese Stellung ist ein relativ einfacher theoretischer Gewinn für Weiß. Er spielt seinen Turm auf h8 und schneidet dann mit Th8-f8 den schwarzen König ab, dann wandert er langsam mit Bauer und König nach vorne mit Übergang in die Lucena Stellung. Markus allerdings spielte hier 73. g3??, was ihn nach 73. …, Kf2 in eine Zugzwang-Situation brachte. Er verlor den Bauern g3 und dann war es natürlich Remis.
Der Kitzinger Schachbote wünscht weiterhin allen Spielern gut Holz und spannende Partien!!
Wir werden dann morgen wieder über die Partien des heutigen Spieltags berichten.
Anmerkungen:
- Der Kitzinger Schachbote ist natürlich eine fiktive Zeitung in Ahnlehnung an das Aschaffenburger Schachblatt, welches auch schon für diese Homepage erdacht wurde.
- Michael Pfarr gelang bei dieser Unterfränkischen tatsächlich die Sensation und er erreichte am Ende den dritten Platz in der M1.
- Klaus Link setzte seine Siegesserie noch bis zur fünften Runde fort, verlor keine einzige Partie und gewann die M2 mit 1.5 Punkten Vorsprung.
- Am nächsten Morgen begann die Partie Markus Susallek gegen Uwe Haßelbacher tatsächlich mit den Zügen 1. e4, e5 2. f4, d6?!. Markus verlor diese Partie denkwürdig unglücklich. Sein Gegner ließ die Partie dann von GM Pursikin analysieren und dieser meinte nur: Normalerweise gibt es im Schach ja kein Glück, aber in dieser Partie hast du wirklich Glück gehabt. Haßelbacher erreichte nach Klaus Link aber am Ende den zweiten Platz!
- Wer sich dafür interessiert wie man Turmendspiele mit f und h Bauern remis hält, den verweise ich auf den 8. Teil Contenance unserer letztjährigen Endspielserie.
- Fritz († 2019) und Marianne († 2018) spielten danach tatsächlich noch öfters Partien miteinander, z. B. bei den unterfränkischen Schachfestivals, die in der Folge regelmäßig an Pfingsten stattfanden.
Text und Diagramme: Jonathan Simon
Für die Richtigkeit der gezeigten Analysen und Stellungseinschätzungen übernehme ich keine Gewähr. Sie wurden aber mit Stockfish 11 erstellt.