Allgemeinsonstige Turniere

Auf der Suche nach der verlorenen Unterfränkischen: König Weißbarts großes Turnier

Als sich nun das von König Weißbart ersonnene königliche Spiel immer weiter auszubreiten begann, noch weit über die Grenzen der Burg Wildberg und des Märchenwaldes hinaus, so sprach König Weißbart eines Tages zu seinen acht Söhnen und seiner Tochter Cassia: „Des bunten Treibens haben wir viel erlebet, allerlei Varianten des königlichen Spiels gespielet und viel Spaß und Freude zusammen gehabet, so lasset uns nun eine Meisterschaft des gesamten Bezirkes austragen!“ Da waren alle seine Kinder glücklich und jedes freute sich auf die bevorstehende Meisterschaft, die den Märchenwald und seine umliegenden Bezirke noch bekannter machen sollte. So ergingen Einladungen an alle umliegenden Spielstätten des königlichen Spiels aus Nah und Fern. Es sollte ein prachtvolles, großes Turnier werden mit über 100 Teilnehmern, möglichst fünf verschiedenen Spielklassen, Grill- und Kartenabenden, Wanderungen, Analysen, gemeinsamen Beisammensein, sich über die Schulter schauen, zusammen lachen und trösten, zusammen spielen und siegen und verlieren und remisieren, mit Auf- und Abstiegen, Wettkampf, Sieg und Freundschaft und vieles mehr.

So also fanden sich nun zahlreiche Jünger des königlichen Spiels unweit des Märchenwaldes in einer beschaulichen Stadt in einem großen Saal, welcher in einem Gebäude lag, in dem es auch heiße Quellen zum baden und Heilwasser zum trinken gab, ein. So vergingen die Tage und spannende Wettkämpfe entstanden an jedem Brette und der Gewinner gab es viele, und auch manche Verlierer, aber ein jeder erfreute sich an dem Turniere, den acht Söhnen König Weißbarts und an seiner Tochter Cassia, die zu einer jungen Frau herangewachsen war, deren Schönheit im ganzen weiten Königreich gerühmt wurde.

Jeden Abend sah man König Weißbart im örtlichen Schlundhaus zechen und das dunkle würzige Urstoff-Bier, das Leibgetränk des Königs, floss in Strömen. Am zweiten Abende er aber ausnahmesweise ein italienisches Restaurant besuchte. Er sah dort einige Jünger des königlichen Spiels geheimnisvolle Blüten verzehren, wahrscheinlich aus dem Märchenwald, so dachte bei sich. Als die stark erkältete Kellnerin ihm ebensolche anbot, so sprach er nur: „Was der König nicht kennt, das frisst er nicht! Weg damit!“ So aber verliefen auch die späteren Stunden in geselliger Runde und man zechte bis tief in die Nacht.

Nun also waret der vierte Tag vergangen und der fünfte Tag war angebrochen. Drei Klassen ließ König Weißbart aus der Traufe heben, die Königsklasse 1, die Königsklasse 2 und das Ritterturnier, welches auch Aufstiegsturnier genannt wurde. Nachdem nun schon sechs Runden gespielt waren, führte in der ersten Königsklasse Tobias Kuhn mit 4.5 Punkten vor FM Harald Golda mit 4 Punkten und CM Christian Schatz mit ebenfalls 4 Punkten. In der zweiten Königsklasse dominierte Charles Gould das Feld mit 5.5 Punkten, dicht gefolgt von Klaus Link mit 4.5 Punkten. Markus Susallek war mit 4 Punkten auch noch im Rennen und ein heißer Kandidat für den Turniersieg. Nicht ganz so gut erging es dem Michael Scholz, welcher eine große Rochade vollführt hatte (er hatte dreimal in Folge verloren). Aber natürlich hatte auch er seinen Spaß, und wenn er deshalb am Abend sich eines der köstlich-königlichen Urstoff-Biere mehr gönnte, so konnte es König Weißbart nur Recht sein, denn beim Zechen war er immer fröhlich und immer gesellig. Im Rittersturniere war heuer schon zum 49. Mal Fritz Scholz im wahresten Sinne des Wortes mit von der Partie, und auch Marianne Hartlaub, die Schachoma, war dabei. Fritz war aber auch mit von der Pokerrunde, denn zu dem allgemeinen Erstaunen bewies der alte Herr sein Geschick auch am Kartentisch und gewann das Pokerturnier des dritten Tages. Jedes mal, wenn der alte Fritz seine Karten aufdeckte und schon wieder eine Straße hatte, da konnte König Weißbart nicht mehr an sich halten und sein schallendes Lachen dröhnte durch den ganzen Spielsaale. Arnold Kraus hatte gerade zweimal in Folge gewonnen und nicht nur König Weißbart fragte sich, ob er seine Siegesserie fortsetzen konnte. Es betrübte den König, das genau jene Spieler, welche zu Beginn die Blüten aus dem Märchenwald verzehrten nun immer schlechter abschnitten in seinem Turniere. So also waret der Stand der Dinge an jenem fünften und vorletzten Morgen des Turniers nach sechs gespielten Runden.

Gleich nach Beginn des großen Glockenschlags die sechste Runde begann und König Weißbart vernahm ein simultanes Klicken als die Schwarzspieler die Schachuhren der Weißspieler in Gang setzen. Sogleich schickte er seine acht Söhne aus, die ihm berichten sollten, sobald sie eine spannende Schachpartie erblicken würden. Besonders, sagte er, behaltet mir die jungen Leute mit den Blüten im Auge. So nahmen die Spiele ihren Gang, der König sah Jürgen Müller, Schiedsrichter wie eh und je, durch die Reihen streifen, um zu kontrollieren, ob alle Uhren ordnungsgemäß liefen, er sah Männer und Frauen, Jung und Alt, aber alle im königlichen Spiele vereint, welches er vor so vielen Jahren als Geschenk für die alte Hexe ersonnen hatte. Das war ihm ein wahrlich herzlicher Anblick.

Da kam auch schon sein ältester Sohn, Anton, zu ihm gelaufen und sprach: „Vater, sehet Jonathan Simon und Can Ersöz tragen schon wieder ihr Theorieduell im Grand-Prix Angriff aus“. Da kam auch schon Boris, König Weißbarts zweitältester Sohn und sprach: „Vater, auch Markus Susallek und Michael Scholz spielen Sizilianische Eröffnungen“. Nach einiger Zeit trat Caesar an seinen Vater heran und sprach: „Sieh, Manuel Simon konnte gegen Thomas Drewes einen ganzen Turm gewinnen, der Sieg sollte ihm sicher sein!“ Da freute sich König Weißbart, denn auch Manuel war bei jenem Blütenverzehren anwesend gewesen und er wollte nicht an eine schlechte Prophezeiung glauben. Da erinnerte er sich, dass auch Manfred Unkelbach an jenem Abend dabei gewesen war. Also schickte er seinen Sohn Demir los zu sehen wie jener sich schlug und sogleich berichtete er ihm, dass er gegen Wolfgang Saftenberger aus Würzburg spielte und Unkelbach nicht schlechter stand. „Sehr gut, sehr gut“, schumzelte König Weißbart in sich hinein. Schon kam Emil, einer der mittleren Söhne König Weißbarts, angelaufen und sagte: „Vater, Vater. Der alte Fritz hat mit seiner Aljechin Eröffnung schon im zweiten Zuge einen Bauern gewonnen!“ Da konnte König Weißbart wieder nicht mehr an sich halten und sein dröhnendes Lachen erklang im ganzen Saale. Da trat auch schon Fritz, einer seiner jünsten Söhne, an ihn heran und sagte ganz aufgeregt: „Sieh Vater, Arnold Kraus ist am gewinnen!“ Sogleich eilte König Weißbart zu jenem Brette, an welchem Arnold Kraus gegen Kilian Mattern spielte und er sah, dass Arnold gerade den Zug Sf6 spielte.

Kraus, Arnold – Mattern, Kilian

Nach 27. Sf6 fällt die schwarze Stellung endgültig zusammen.

Weißbart sah sofort, dass Weiß nun leicht gewinnen würde. Sollte der König nach h8 weichen, so wäre es nach Dh7 matt und nach Kg7 folgt Dh7+ und er muss nach f8 gehen und wenn er nun nach f8 ginge, so würde Txc5 nebst Sd7+ die schwarze Dame aufgabeln. Also müsste …,Txf6 erfolgen, aber Schwarz würde nach exf6 den Mattdrohungen nicht mehr Herr werden. Zufrieden schmunzelte der alte König in seinen langen weißen Bart. Da aber kam Garry angerannt und sprach ganz im Affekt: „Oh Vater, oh Vater! Manuel Simon ist in Schwierigkeiten, trotz seines Mehrturmes!“ Da dachte König Weißbart an die verhägnissvollen Blüten und rannte zu jenem Brette. Und tatsächlich, Manuel hatte gerade 34. Le4 gezogen.

Simon, Manuel – Drewes, Thomas

Stellung nach 34. Le4. Weiß hat einen Mehrturm, aber steht er auch besser?

Der König stirnrunzelnd auf das Brette starrte und sich dachte, dass die schwache schwarze Grundreihe doch irgendwie auszunutzen sein musste. Da sein Sohn murmelte „b3“ und er sah, dass in der Tat 34. …, b3! nicht einfach zu beantworten war. Und tatsächlich, schon zog Drewes seinen b-Bauern ein Feld nach vorne. Nun drohte einfach …, bxc2+ nebst Einziehen und die schwarze Grundreihe war auf den empfindlichen Feldern f8 und d8 gut gedeckt. Manuel zog seinen Bauern vor nach h4 in er Hoffung den Läufer zu vertreiben, aber Schwarz schlug auf b2 und Weiß blieb nichts anderes übrig als mit Dxc2 seine Dame herzugeben. Danach war es bald um ihn geschehen.

Da kam sein Sohn Boris und sprach: „Manfred Unkelbach hat leider nur remisiert“. Schon Caesar kam angerannt und sagte: „Vater, es betrübt mich, aber Michael Scholz hat gerade aufgegeben“. Da gesellte sich Anton dazu und sprach betrübt: „Auch Markus war Stefan Blank unterlegen“. „Die Blüten, die Blüten!“, rief König Weißbart verzweifelt als er sah, dass auch Manuel gerade aufgegeben hatte. So ginget auch dieser Tag zu Ende und alle zechten im Schlundhaus und genossen das Urstoff Bier und die Niederlagen waren schnell vergessen.

Und nach 9 Runden drei Spieler in der Königsklasse 1 konnten stolz auf ihre 6 Punkte sein und es erfreute König Weißbart, dass Arnold Kraus seit dem fünften Spiel jede Partie gewonnen hatte (und Zweiter wurde), und da jener gerade nicht an jenem zweiten Abende beim Blütenessen dabei gewesen waret, so war sich König Weißbart seiner sicher und er gab den Blüten die Schuld für das bescheidene Abschneiden der anderen Recken, er sprach gar von einer Blütentheorie.

Dies alles, und noch viel mehr, erzählte er vier Wochen später der alten Hexe, als sie wieder in einer Vollmondnacht beim königlichen Spiele zusammen saßen. Und als König Weißbart ihr von der Episode mit Manuel Simon und seinem Mehrturm erzählte, da bat sie ihm, dass sie ihm die Stellung einmal zeige, wie es denn gekommen sei mit einem Mehrturm noch zu verlieren (Anm: Der Leser probiere sich selbst an dieser schönen Aufgabe: Weiß am Zug hält Remis [und gewinnt insbesondere nicht]. Tipp: Die Aufgabe ist eventuell noch schwerer als sie aussieht und geht nach dem ersten Zug noch weiter).

Simon, Manuel – Drewes, Thomas

Stellung nach 34…b3. Ist Weiß verloren?

König Weißbart sprach: „Sieh, die Grundreihe sieht schwach aus, aber die Felder d8 und f8 sind gut gedeckt“. Da grübelte die alte Hexe und kratze die Warzen an ihrer gekrümmten Nase. „Nun, nun“, sprach sie, und ihre dünnen Finger griffen nach der weißen Dame, „wie wäre es mit Dc3? Hehehhe!“

Simon, Manuel – Drewes, Thomas (Variante)

35. Dc3!! bringt Weiß den Sieg?

„Natürlich!“, rief König Weißbart ganz ereifert, „die Dame kann nicht schlagen, da sonst Tf8# kommt und gleichzeitig droht Dxc5 und Dxb2!“. „Und nach bxc2+“, fragte die Hexe. „Kommt diesmal Lxc2 und alles ist sicher! Gewinnt nun Weiß also doch?“. „Es scheint so, es scheint so…“, murmelte die Hexe. „Nun“, sprach der König, „Schwarz könnte noch ein Schach auf b1 geben, aber nach Ke2 hängt auch noch der Turm und das macht die Sache ja eher noch schlimmer für ihn…“. Da versank die Hexe in Gedanken und starrte auf das Brett. „Warte Weißbart, warte. Immer alle Schachs rechnen mein Lieber!“ und sie zog den Turm nach b1 und den König nach e2 und fasste dann nach dem Turm um ihn auf dem Felde e1 abzusetzen.

Simon, Manuel – Drewes, Thomas (Variante)

Nein, denn mit 37. …, Te1!! hat Schwarz den gleichen Trick. Ablenkung!

Da begriff Köng Weißbart und er brach in ein minutenlanges schallendes Gelächter aus. „So etwas haben meine Augen noch nicht erblicket!“, rief er aus. „Herrlich, herrlich!“. „Ja“, sprach die Hexe, „nach Kxe1 kommt nun Dxc3 mit Schach und nach Txf1 wird der Turm abgelenkt und nach …, Dxc3 droht kein Matt mehr auf f8 und nach Dxe1 folgt …, De3+, Kd1, Dc1+ mit Dauerschach. Eine feine Kombination hast du da ausgegraben, Weißbart“. So trug es sich zu in jener Vollmondnacht im Märchenwald und die beiden blitzten danach noch bis zum Morgengrauen. Und am nächsten Morgen kehrte der König heim zur Burg Wildberg und berichtete seinen Söhnen und seiner Tochter Cassia von den Analysen und alle erfreuten sich an den schönen Zügen Dc3 und dann nochmals an Te1!! und sie fragten sich, welch glückliche Geschehnisse ihnen das königliche Spiel noch bringen möge und welche Geheimnisse sich ihnen noch offenbaren würden. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

Anmerkungen:

  • Dieser Bericht behandelte den vorletzten Tag der UEM 2016 in Bad Königshofen.
  • König Weißbart (und seine Kinder) sind natürlich rein fiktive Personen. Jede Ähnlichkeit zu anderen Personen ist rein zufällig.
  • Ich selbst stieg denkbar knapp aufgrund eines halben Buchholzpunktes ab, obwohl ich meine letzte Partie gewann, aber das ist eine andere Geschichte.
  • Wer einen weiteren Bericht über die gesamte Meisterschaft (ebenfalls von mir, aber nicht ganz so märchenhaft) lesen will, den verweise ich auf den Turnierbericht zur UEM 2016 auf dieser Homepage. Hier werden jeweils andere Partien analysiert.
  • Wer mehr von König Weißbart lesen will und wissen will wie er das Schach erfand, der lese Das Spiel von Königen und Königinnen: Teil 6: Das Märchen von König Weißbart. Der hier vorgestellte Teil versteht sich als direkte Fortsetzung dieses Märchens. Dort finden sich auch noch mehr Anmerkungen z. B. zur Burg Wildberg.
  • Anbei noch die gesamte Analyse der Schlüsselstellung in Simon – Drewes.

 

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