UEM in Obernau 2024: Ein Turnierbericht – Teil 1
Wir schreiben bereits das Jahr 2024 und heuer (wie es ganz am Ende auf dem Fragebogen heißen wird, aber dazu kommen wir noch) wurden die Unterfränkischen Einzelmeisterschaften im Schach erneut in Obernau vom Schachclub Aschaffenburg ausgetragen. Der Verfasser dieser Zeilen gab sich damit, nach 2009 und 2019 (man wird eben nicht jünger…) erstmalig drittmalig die Ehre der UEM an ein und demselben Spielort beizuwohnen. Zweimalige Teilnahmen können die Orte Schweinfurt und Würzburg verzeichnen, allerdings nur Schweinfurt zweimal an der gleichen Spielstätte. Wie dem auch sei, in Einzelheiten möchten wir uns (noch) nicht verlieren! So ging es also (diesmal bereits am Samstag vor Ostern) auf zur ersten Runde! Mit von der Partie waren die Vereinskollegen Manuel (AT), Markus (M1), Daniela (Poker), Michael (M2) & Michael (M1), sowie, man könnte fast meinen es handle sich um einen Versprecher, Florian (SK Mömbris, M2).
Das Wetter zeigte sein bestes Grau. Dafür glänzten in der großen Turn(ier)halle die nagelneuen DGT-Bretter, hölzern aber doch digital. Die 34 analogen Figuren (man vergesse nicht die Ersatzdamen!) verheimlichten ihre digitale Kompetenz gekonnt, aber Schachinspektor Mirco Süß hatte sie dennoch enttarnt und aufs Korn (aufs Kreuz?!) genommen und alle 34 Mitstreiter:innen fein säuberlich DGT-konform auf ihren schwarz-weißen Ausgangsfeldern platziert. Auch abseits des Schachbrettes platzierte man sich, traf neue und alte Bekannte und stimmte sich auf das Turnier ein. Alle waren noch unbeschriebene Blätter. Welche Geschichten würden sich auf Ihnen schreiben? Man träumte vom Aufstieg und fünf Ellen großen Pokalen, von spannenden Partien, geglückter Eröffnungsvorbereitung, abenteuerlichen Manövern, Abzügen, Doppelschachs und Grundlinienmatts (aber sicher nicht von Drei-Springer-Unterverwandlung). Man nickte sich zu, erinnerte sich an frühere Begegnungen eingebrannter Partien (wie bspw. Michael Pfarr und Markus Markert an eine Französisch Partie, die mittlerweile bestimmt 10 Jahre zurückläge… [Anm. d. Verf. 8 Jahre um genau zu sein, bei der UEM 2016 in Bad Königshofen]). Ob sich auch Paul Matis (M2) und Stefan Blank (AT), die heuer zwar nicht aufeinander treffen würden, sich an ihre legendäre Patt-Partie aus dem Jahre 1995 erinnerten (wir berichteten)?!
Eine gehmeinisvolle Kiste mit der roten Aufschrift Bitte stehen lassen wurde zentral platziert, ich meinte zu sehen wie ein ganz besonderer Gegenstand darunter versteckt worden war… Die Spannung stieg. Die Zeichen der Schachschrift, nicht auf Blatt Papier mit Füller und Tinte, sondern auf Holzbrett mit Holzfigur und Zug geschrieben (aber bitte nicht in Lasker-Notation!), würden sich uns, allen von uns, in wenigen Minuten einbrennen. Man hielt die üblichen Reden. Dann läutete Dr. Harald Bittner zum ersten Mal die Glocke (ich musste unweigerlich an einen Boxkampf denken) zum Beginn der ersten Runde. Ding Dong.
Marius hatte mir noch am Vorabend nahe gelegt, ich solle doch das Wolga-Gambit spielen. Die Partie begann mit 1. d4, Sf6 2. c4, c5 3. d5, b5. Aha, da sind wir schon! Aber Moment… Ich fand mich auf der weißen Seite des Brettes wieder. Schmunzelnd dachte ich daran, wie Marius die Eröffnungszüge vielleicht gerade live verfolgte, und spielte meine Yermolinsky-Variante. Es lief alles rund, ich behielt meinen Bauern und erreichte sehr bald so starkes positionelles Übergewicht, dass sich mein Gegner zu einem Verzweiflungs-Läuferopfer genötigt sah. Nach 25 Zügen erreichen wir die folgende Stellung.
Simon, Jonathan – Kappus, Maximilian
Statt einfach mit 25. Tdb1 die Stellung zu beruhigen und die Mehrfigur zu sichern, spielte ich hier das verkomplizierende 25. Sxe5?. Objektiv ist dieser Zug noch in Ordnung, aus praktischer Sicht hat er aber sicher mindestens ein Fragezeichen verdient. Nach 25…, Lxe5 führt nur noch 26. Lxf4 noch zum Gewinn. Dann ist nach 26…, Lxf4 der Zug 27. Se4 (mit Drohung Sf6+) am einfachsten. Nach 27…, Le5 28. Da5 fällt der Bauer c5 und Weiß gewinnt mit zwei Mehrbauern. Ignorant gegen die aufziehenden schwarzen Wolken (man bedenke Dame, Turm, Springer und Läufer zielen jetzt alle auf meinen König), spielte ich 26. Sc4??.
Simon, Jonathan – Kappus, Maximilian
Jetzt führt 26…, Df3 sofort zum Remis nach gxf4, Dg4+ mit Dauerschach, oder aber 26…, Se2+ 27. Kg2, De4+ 28. Kh3, Df5+ mit Dauerschach. Ich entschied mich nach 26…, Se2+ für das prosaische 27. Txe2?? und verlor nicht nur die Qualität, sondern auch die Partie alsbald. Den Zug 26…, Se2+ hatte ich bei der Berechnung von 26. Sc4 gesehen, ich dachte aber an 27. Kg2, De4+ 28. f3, doch dämmerte mir jetzt erst, dass es nach 28…, Sf4++ kein Entrinnen mehr gab. Das ist sicherlich ein weiteres Diagramm wert!
Simon, Jonathan – Kappus, Maximilian
So musste ich zähneknirschend die Hand zur Aufgabe reichen. Ich wunderte mich noch auf der Heimfahrt nach Mömbris warum der gehmeinisvolle unter der Kiste verstecke Gegenstand, trotz expliziter Ankündigung, nicht zum Einsatz gekommen war. Naja, vielleicht ja morgen…
Der Morgen dämmerte, doch noch ehe der erste Hahn auch nur vom Krähen träumte, lag ich schon wach und plagte mich mit unruhigen Gedanken hängender Figuren… So ging es also mit nur vier Stunden Schlaf auf zur zweiten Runde. Morgendliche Freude (und Kaffeeduft!) lag in der Luft. Man begrüßte sich erneut, noch lagen 8/9 des Turniers vor uns. Manuel versicherte mir noch im Auto, dass „ein Verlust in der ersten Runde im Schweizer System nicht so schlimm“ sei. Die Turnierhallenuhr ging beharrlich 58 Minuten nach. An die Bretter, fertig. Ding Dong.
Dominik Kodalle vom SC Aschaffenburg hieß mein jugendlicher Gegner und ich sah mich erneut mit dem modernen Jobava-System (1. d4, Sf6 2. Sc3 nebst Lf4 konfrontiert). Das weckte Erinnerungen an die Partie gegen Lutz Müller vom letzten Jahr (KL berichtete). Damals spielte ich einen zahmen Aufbau mit …c6, ich meinte mich daran zu erinnern, dass …c5 von der Engine bevorzugt worden war (das ist allerdings nicht so ganz klar, wie ich später feststellen musste, und die Stellungen waren schon leicht unterschiedlich). Dennoch, ich entschloss mich mutig zu 5…, c5, was sich wegen Sb5 doch als sehr verpflichtend erwies. Ich gewann ein bisschen glücklich auf Zeit, in dann schon deutlich besserer Stellung nach einem etwas langsamen Druckspiel am Damenflügel.
Florian legte derweil einen sehenswerten Springermarsch d2-c4-b2-d3-f4-e6 auf’s Brett und erlangte dadurch positionelles Übergewicht und der Sieg war nicht mehr fern.
Voellinger, Florian – Seelmann, Noah
In der Mittagspause durfte ich den vorzüglichen Hackbraten mit Kartoffelgratin verkosten (ein Lob an die Küche!), dann ging es nach kurzer Pause (wir spielen ja nur noch Fischer-Kurz, und wie alles in der Welt geht auch das Schach immer schneller) erneut in den Boxring zur dritten Partie. Ding Dong.
Ich probierte gegen Halbslawisch einen Eigenaufbau a la Lanka, was mich schon in der Eröffnung auf denkbar peinlichste Weise einen Bauern kostete. Mein Gegner spielte dann allerdings etwas nachlässlig und ließ mich seinen wertvollen schwarzfelder Läufer tauschen. Nach 15 Zügen entstand dann die folgende kritische Stellung.
Simon, Jonathan – Röß, Jonas
Natürlich sprang mir 16. Sb5! hier regelrecht ins Auge. Ich sah allerdings nach 16. …, Db6 17. Sd6+, Ke7 18. Tb1 (nächstes Diagramm), Dc7 keine Möglichkeit mehr den Springer zu retten (19. Lb4, c5) und dachte diese Variante wäre nicht spielbar. Allerdings ist dann 19. Sb5! wieder spielbar, denn der c-Bauer ist gefesselt. In Kombination mit 20. Sd4 mit Druck auf den Bauern c6 gewinnt das sogar die Partie. Schwarz sollte also im 18. Zug abweichen. Die Möglichkeit 18. …, Dxb1!? hatte ich überhaupt nicht beachtet. Nach 19. Dxb1, Kxd6 ist die Stellung unklar. Eine weitere Möglichkeit für Schwarz war 18…, Da7. Nach 19. Dxc6 muss er dann allerdings 19…., La6! finden, was nach 20. Lb4, Dxe3+ zum Dauerschach führt.
Simon, Jonathan – Röß, Jonas
So stand ich also mit 1/3 und einem reichlich missglückten Turnierstart da. Auch unsere Recken in der M1 trafen bereits in Runde 3 aufeinander und trennten sich friedlich, aber auch das waren für beide erst die ersten Punkte des Turniers. Uli, erst heute früh ins Turnier eingestiegen, fegte seine beiden Gegner quasi schon in der Eröffnung vom Brett (nicht ahnend, dass ihm morgen dasselbe bevorstand). Michael siegte mit den schwarzen Steinen. Im Aufstiegsturnier gewann Manuel ein furioses Doppelturm + Springer Endspiel gegen Johannes Wambach, eine Partie, die er schön hätte verlieren müssen, wie es Gunther Beyersdorf vom SC Bad Königshofen mit einem breiten Lächeln, und ihm dabei die Hand gebend, ausdrückte. So ging es also wieder nach Hause und Jonathan schmiedete heimlich an einem neuen Eröffnungsaufbau gegen Dr. Dirk Schellenberger…
Am morgen des dritten Tages sahen sich ausgeschlafene Mömbriser erneut in der Turnierhalle. Eventuelle Partievorreden sind schon der Vergessenheit anheim gefallen (obwohl ich sah, wie jemand im Endfragebogen der Turnierleitung weniger Worte nahe legte…). Ding Dong. Runde Nr. 4. Die Partie gegen Dr. Schellenberger schrieb für mich Schachgeschichte. Es war unser bereits fünftes Aufeinandertreffen, in allen fünf Begegnungen führte ich die schwarzen Steine. Es sollte für mich die von den Zügen her längste Turnierpartie werden (101 Züge). Und obwohl, oder gerade deshalb, man nicht auf beiden Flügeln gleichzeitig spielen kann (Voellinger), sah diese Partie im Mittelspiel die übelsten taktischen Verwicklungen. Ich möchte nur eine verrückte Variante zeigen, eine Partiestellung dieses furiosen Mittelspiels und auf das Endspiel eingehen. Die folgende Variante (beginned mit 23. Lh3 statt 23. Sg5) ist halbforciert, enthält aber nach 26. Kh1 (forciert) ein wunderschönes taktisches Motiv!
Schellenberger, Dirk – Simon, Jonathan
Es schaut so aus als wäre alles für den finalen Schlag gegen den weißen Monarchen vorbereitet. Bauer Fridolin hat sich mutig bis nach h2 durchgeschlagen und Läufer und Dame nehmen den König ins dreifache parallele Kreuzfeuer. Es sieht so aus als würde nach 26…, Txf3 (26…, Txc8, 27. e4 wäre besser und wahrscheinlich eher unklar) Schwarz durchschlagen (exf3, Lxf3#, und auch nach Lxb7, Dxb7 [siehe Diagramm] drohen allerlei tödlicher Abzüge). Was soll Weiß also tun? Und warum ist eigentlich der Ta1 im obigen Diagramm grün…?
Schellenberger, Dirk – Simon, Jonathan
Da kommt er herangestürmt der geheimnissvolle a1-Turm. 28. Ta7!! ist die brilliante Rettung. Nach …Dxa7, gxf3 ist Weiß sicher und Schwarz hat zu wenig Material. Nach 28…, Dc6 folgt allerdings 29. Txg7! und der Turm steht bereit 29…,Tf6 mit 30.Tg2! zu kontern (siehe Diagramm)! Habt ihr schonmal einen Turm von a1 so effektiv und machtvoll durch die Stellung pflügend nur drei Züge später auf g2 auftauchen sehen? 29…, Tg3+ ist etwas besser, aber dann gewinnt Weiß nach 30. f3, Txg7 31. Lxg7+, Kxg7 32. Dxb4!.
Schellenberger, Dirk – Simon, Jonathan
Zurück zur Textpartie, die einen ganzlich anderen Pfad einschlug. Ich öffnete etwas zu spät die Stellung mit 25. …, c4? und sah mich nach 28. bxc4 plötzlich unangenehmsten Fesselungen entgegen. Da dämmerte mir ein seltsam erscheinender Zug… Robust gegenüber dem Konzept gedeckter Felder schmetterte ich 28…, Lf4! auf’s Brett.
Schellenberger, Dirk – Simon, Jonathan
Ich war doch überrascht, dass 28…, Lf4! auch die Wahl der Engine ist (leider ist die Stellung objektiv immer noch gewonnen für Weiß). Weiß schlug den Läufer (objektiv der einzige Gewinnzug), ich nahm mit dem Springer zurück und spielte anschließend …e5 um mit der Dame zum Königsflügel zu schwenken (nach 29. e3 käme übrigens 29…, Lxe3 30. fxe3, Sxe3+ nebst Sxc4 und Schwarz bekommt zumindest drei Bauern und eine offene Königsstellung für die Figur, objektiv anscheinend unklar). Es entstand ein wildes Zeitnotgemetzel, welches in ein interessantes Endspiel Weiß Läufer + Springer + 2 Bauern gegen Schwarz Turm + 3 Bauern endete. Nach dem 40. Zug (…Td4) zeigt unser digitaler Freund 0.00. Ich verpasste direkt im Anschluss einen relativ klaren Weg zum Remis und sah mich dann mit einem weißen Freibauern auf der c-Linie konfrontiert. Wir waren schon lange auf Inkrement eingestellt als ich schließlich auch die klarste Chance zum Remis verstreichen ließ.
Schellenberger, Dirk – Simon, Jonathan
Der Vorstoß 71…, g3! hätte das Remis leicht gesichert. Das Schlagen des Bauern verbietet sich wegen …Txg3 und …Kxc5. Doch bleibt er auf dem Brett, dann kann der Bauer bis nach g2 Vorstoßen und Weiß keine Fortschritte mehr erzielen. Ich allerdings stellte diesen Bauern sogar ein, aber auch dann ist der Remishafen für Schwarz noch in Reichweite. Laut Tablebase gab es an einer Stelle einmal ein Matt für Weiß in etwa 20 Zügen, an anderer Stelle war es wieder 0.00.
Schellenberger, Dirk – Simon, Jonathan
Eine (für die Engine) spannede Stellung ergab sich nach 98 Zügen. Hier spielte Weiß 99. Le5, worauf 100. Kb7 wohl das Remis gehalten hätte, nicht aber das gespielte 100. Kd7?, was verliert. Zum Matt in 50 Zügen hätte allerdings 99. Lf4! geführt. Auf diese triviale Mattführung wollen wir hier wirklich nicht weiter eingehen. Auch der Schluss der Partie war schließlich bemerkenswert.
Schellenberger, Dirk – Simon, Jonathan
Ich dachte Weiß hätte mich nun ausgetrickst (es droht Sb6+) und irgendwie dachte ich, dass 101…, Kc8 102. Sb6+ matt wäre (hatte ich den weißen König auf c6 gesehen?), oder aber, dass das Einziehen jetzt zum sofortigen Gewinn für Weiß führen würde. Nach 102…, Kb7 ist aber in fact alles sicher und die Stellung (laut Engine) Remis. Dennoch ist die Stellung nach 101…, Kc8 für Weiß gewonnen.
Schellenberger, Dirk – Simon, Jonathan
Der Gewinn ist aber nicht trivial und Schwarz kann das Endspiel Läufer + Springer gegen König erzwingen. Das wäre vorher schon möglich gewesen, aber ich wollte es natürlich nur als allerletzten Ausweg nutzen, da es theoretisch verloren ist und die Partiestellung offenbar in Remisbreite war. Können Sie den Weißen Gewinnplan finden? Es gewinnt nur genau eine eindeutige (bis auf Transposition) Zugfolge. Ich gebe die Lösung am Ende des Berichts in den Partien zum Nachspielen mit an.
Zwei Anmerkungen noch zu dieser monumentalen Schlacht. Marius tritt wieder auf die Bildfläche, denn er schrieb mir nach der Partie sofort, dass ihn die Materialverteilung an seine Partie von der letzten Obernauer UEM 2019 gegen Klaus Link erinnerte (wir berichteten in Teil 4).
Link, Klaus – Böhl, Marius (UEM 2019)
Das ist doch ein bemerkenswertes Muster zur Textpartie, als Schellenberger mit 97. c7? (unbewusst) in den Remishafen steuerte.
Schellenberger, Dirk – Simon, Jonathan (UEM 2024)
Das zweite Kuriosum ereignete sich in der nächsten Runde, als nicht nur meine Rekordzugzahl sofort überboten wurde (mit 103 Zügen), sondern in dieser Partie tatsächlich das Endspiel Springer + Läufer gegen König auf’s Brett kam. Es war die Partie Peter Lutz (wir kreutzen diesesmal nicht die Waffen, aber da mir …Dg2!! immer noch Albträume bereitet (wir berichteten in Teil 4 und hier) freue ich mich auf eine Revance) gegen Mustafa Khan. Hier endstand nach bereits 58 Zügen die folgende Stellung.
Lutz, Peter – Khan, Mustafa
Sogar die Materialverteilung ist gleich! Lutz entschied sich im Gegensatz zu mir sofort in das Läufer + Springer gegen König Endspiel abzuwickeln, schlug den Bauern und, das Glück ist mit den Wagemutigen, „hielt“ Remis, da sein Gegner das Matt in 50 Zügen nicht fand. Die Diagrammstellung ist wohl eine Gewinnstellung für Schwarz (vielleicht ist es mit dem Springerbauern einfacher zu gewinnen als mit dem Läuferbauern?!), aber das heißt nicht, dass Weiß ohne Tricks ist. Man vergleiche dies wieder mit Link – Böhl von vor 5 Jahren. Es könnte genau das gleiche Verteidigungsmotiv an der Brettmitte gespiegelt entstehen…
So jetzt haben wir uns doch (wie angekündigt) ganz schön in Einzelheiten verloren. Daher treten wir einmal einen Schritt zurück und betrachten die Turniersituation. Ich startete also mit verkorksten 1/4. Michael Pfarr remisierte gegen Lutz Müller in einer Stellung von der alle dachten, dass sie für Weiß so viel besser hätte sein müssen, dass er das Remisangebot nicht annehmen sollte, die laut Engine aber besser für Schwarz war.
Müller, Lutz – Pfarr, Michael
Nach 20. Tg6 wurde Remis vereinbart. Michael war darüber sehr froh, da er sich sicher war, dass Weiß hier besser steht und, in der Turniersituation, auf jeden Fall weiterspielen sollte. Kurisoserweise gibt die Engine hier nach 20…, Tf7 Schwarz leichten Vorteil. Wahrscheinlich ist der Weiße Damenflügel einfach langfristig eine Schwäche und die Initiative am Königsflügel nichtsbringend.
Markus gewann gegen Gerold Hock und auch zu dieser Partie gibt es, wie ich erst heute bei der MV des USV von Gerold Hock persönlich erfahren habe, eine unterhaltsame Ankdote zu erzählen. Auch schon das frühe Mittelspiel dieser Partie war lustig. Der schwarze König begnügte sich nich etwa damit vom sicheren Basislager aus seine Streitkräfte zu befehligen, sondern er inspizierte seine Truppen sozusagen aus der Nähe, indem er den Marsch von e8-d7-c6 (bis vor die Bauernfront, es standen noch Bauern auf a7, b7 und c7) auf sich nahm und danach (unter schachlichen Kugelfeuer) wieder seelenruhig über diese Route zurück marschierte und fortan auf e8 und dann d8 verweilte. Bis…
Susallek, Markus – Hock, Gerold
Die Uhr tickt lautlos. Markus greift zur Dame und lässt sie zwei Felder nach links nach c6 gleiten. Einfach mal matt drohen. Schwarz kann dieses zwar mit …Sd6 nebst …Sc8 abwehren, aber dann ist der Springer nicht mehr aktiv. Ich habe zwar nur Turm für zwei Leichtfiguren, aber diese üben starken Druck auf der e-Linie aus. Er zieht, drückt die Uhr. 4 Minuten bis zur Zeitkontrolle. Vielleicht wird’s Remis?! Die Wippe wippt. Die Uhr tickt lautlos. Gerold legt die Stirn in Falten und notiert Dc6. Noch 16 Minuten um das Problem zu lösen. Das war’s wohl. Doppelangriff mit Mattdrohung. Es ist aus. Dann lass’t uns die Partie doch lustig beenden, es macht ja doch keinen Unterschied. Gerold greift zum Springer und spielt lustig listig und gegen wiehrenden Protest des Rappen 32…, Sxe3??. Was soll’s, ein lustiger Abgang! Die Wippe wippt. Die Uhr tickt lautlos. Die Turnierhallenuhr geht beharrlich 58 Minuten nach. Markus legt die Stirn in Falten und notiert nichts. Er starrt auf’s Brett. Ungläubig. Die Uhr tickt lautlos. Genau eine Minute lang. Die Dame gleitet. Ins Eck. Die Wippe wippt. Ein vollständig abgeschlossener Zug. Doch Matt beendete die Partie… Da sollte man dem Sprüchlein Übersieh nie ein Schach, es könnte Matt sein, vielleicht noch Übersieh nie einen doppelten Springerrückzug, er könnte ein Matt verhindern, hinzufügen.
In der M2 gewann Florian in der vierten Runde gegen Kai Müller und setzte sich an die Tabellenspitze. Ulis Schicksal an diesem Tag habe ich oben schon angedeutet… Micheal Scholz remisierte gegen Martin Kwossek. Ich dachte mir noch beim kiebitzen: Ah endlich mal eine ganz normale Stellung bei Michael mit leichtem Vorteil für Weiß (er war Weiß). Doch dann war’s schnell Remis. Michael meinte nach der Partie ihm habe die Stellung nicht gefallen. Im Hautpturnier gewann Manuel gegen Friedrich Mut.
Ding Dong. Wie schon Runde Nr. 5? Ich hatte doch nur 10 Minuten Pause. Zum Glück hatte ich mir ein Bye genommen… Michael Pfarr fragte mich noch: Und was willst du die ganze Partie über machen? Ich zuckte nur mit den Schultern: Zuschauen und Kuchen essen?
Markus sah sich gerade mit einem höchst unangenehmen Springeropfer auf f7 konfrontiert, welches seine Königsstellung zerschmetterte. Missmutig nahm er den störenden Rappen heraus. …Kxf7. Die Wippe wippte. Die Uhr tickte lautlos. Ein paar weitere Züge. Gedanken an Springerrückzüge. Jonathan lief gerade mit seinem gefühlt dritten Stück Donauwelle munter durch die M1. Dem König wird es heiß. Geht da nicht?! Ein Damenzug!
Orf, Niklas – Susallek, Markus
Hier sah die Partie 23. Lxe8, was schnell gewann. Stilvoller und noch effktiver wäre 23. Df5+! gewesen. Nach …exf5 ist Txe8# sofort matt (…, Kg8, Df7+ nebst matt) und nach 23…, Ke7 ist 24. Txd5 erneut sehr stilvoll und beendet die Partie sofort. Florian remisierte. Michael Scholz verpasste die Chance mit einem Figurenopfer, welches eigentlich seinem Stil entspräche, die schwarze Königsstellung zu öffnen.
Scholz, Michael – Werner, Jörg
Dieser Einschlag ist durchaus interessant. Nach 19…,gxf6 (was sonst?), 20. Dh4 führt 20…, Dg7 21. Sxf6 nebst Sxe8 zu einer Materialverteilung, bei der Weiß für zwei Leichtfiguren einen Turm und zwei Bauern bekommen hat. Möchte Schwarz das nicht, kann er auch 20…, Sfd7 spielen (deckt f6 und macht Platz für den König), dann kann Weiß nach 21. Dxh6, Kg8 schon über 22 Sfe5!? nachdenken (oder erst 22. b4 und dann Sfe5).
Scholz, Michael – Werner, Jörg
Michael entschied sich aber aus obigen Diagramm schon für 19. h4 und baute langsam den Druck auf den schwachen Feldern um den schwarzen König weiter aus und gewann schließlich. Manuel remisierte die fünfte Runde und stand jetzt bei 3/5. So endete also der dritte Tag und Tag Nr. 4 dämmerte heran. Das Wetter zeigte sein bestes Grau.
Fortsetzung folgt…
Text, Diagramme und Bildrechte: Jonathan Simon
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